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Mach dir nicht ins Hemd: Die Kreation und Depossession des 'Subalternen'

Mach dir nicht ins Hemd: Die Kreation und Depossession des 'Subalternen'*

von Dr.phil. Verena Krausneker

Aus soziolinguistischer Sicht ist verblüffend, wie kurz die meisten Argumentationen in der Diskussion um die Bezeichnung einer österreichischen Mehlspeise greifen.

Es gibt gegenwärtig in Österreich sehr viele Leute, die zu wissen glauben, dass Mohr kein Problem sei. Denn, argumentiert so mancher Feinspitz, was ist dann mit den Frankfurtern und mit dem Zigeunerschnitzel und – bruhaha – wie sollen wir denn zu den Kärntner Nudeln sagen? Und fühlen sich die Hamburger auch beleidigt? Und der bsoffene Kapuziner?

Diese und andere aufgetischte Vergleiche machen mulmig und tragen nichts zur Diskussion bei – außer dass sie Verwirrung stiften und den unfeinen Unterschied zwischen der schokoladigen und allen anderen angeführten Speisen verschleiern. Keine der anderen Bezeichnungen referiert auf das Äußere von Menschen. Die Verwendung von Speisebezeichnungen, die auf das – seit Jahrhunderten als Benachteiligungsgrund herangezogene – Aussehen einer Menschengruppe zurückgreifen, ist nicht nur unappetitlich, sondern ein Problem.

„Nur“ Sprache?

Bemüht wird die Herkunft des Wortes „Mohr“. Sie mag interessant sein. Aber die Mauren – und wie sie einmal aus „europäischer“ Sicht benannt wurden – sind für das Hier und Heute nicht mehr relevant. Diskursiv prägend ist, dass es eine Kolonialgeschichte, eine Tradition des Rassismus und tagtäglich rassistische Diskriminierungen gibt. Sprache verweist darauf, und Sprecher knüpfen bewusst oder ungewollt daran an. Auch das sind Aspekte der Herkunft dieses dunklen Begriffes, die niemand verleugnen oder als unwichtig abtun wird können. Argumentationsversuche, die meinen, es gäbe einen vom Beigeschmack losgelösten, neutralen historischen Kern eines Wortes, sind zum Scheitern verurteilt.

Besonders die Geschichte(n) von Begriffen für dunkelhäutige Menschen sind von Fremdzuschreibungen geprägt. Somit können sie nicht neutral sein, es nie gewesen sein. Möchte irgendwer allen Ernstes behaupten, dass etwa „Neger“, von lat. negro hergeleitet, ja auch nur ein sich verändert habendes Wort für „dunkel“, „schwarz“ und daher überhaupt nicht rassistisch sei? Diverse historische Bezeichnungen für Afrikaner oder Afroösterreicher etc. referieren auf ihr Aussehen, ihr vermeintlich so herausstechendes Anderssein. Es gibt Sprache in Verwendung und Sprache im Kontext – aber eine per se „neutrale“ Sprache, losgelöst vom sozialen Gebilde der Menschheit und ihrer Gesellschaften, gibt es nicht.

Sprache ist weder bedeutungs- noch harmlos. Und sie war es auch damals nicht, als einer der Schritte im Prozess der Versklavung von Menschen war, ihnen ihre Namen zu nehmen und durch das N-Wort zu ersetzen. So wurden sie, die von dummen Augen als gleich aussehend wahrgenommen wurden, gleichgemacht, ihrer Individualität beraubt. Mit dem Namen stahlen die Versklaver den Versklavten die Identität – und stifteten eine lange Tradition im Geben von stigmatisierenden „Ersatznamen“. Sprache gibt es nur mit diesem Kontext der Tat, denn dort ist sie entstanden, und nicht vermeintlich unschuldig im „Duden“ oder „Oxford English Dictionary“ oder in Shakespeares Kopf alleine.

Ja, Rassismus zeigt sich durchaus größer, brutaler, menschenverachtender und gezielter als in der ungemütlichen Benennung einer Mehlspeise. Gesetzt den Fall, die Bewohnerinnen und Bewohner dieses Landes würden von anderen Nationen nur mehr als „Punschkrapferln“ bezeichnet (außen rosa, innen braun)... genau! Wie vehement wir argumentieren würden: Braun sind andere, nicht ich! Und wie unlustig, wenn unser Protest abgetan würde: Geh, sei nicht so humorlos.

Wehleidigkeit

Es scheint, wir haben es bei der Diskussion um den verzehrbaren Mohren mit einem besonders schwer verdaulichen Fall von „Nicht bös gemeint!“ zu tun. Die aktuelle Diskussion legt offen, wie viele es als ihr gutes Recht ansehen, alte, rassistische Termini – egal ob für Personen oder für deren imaginierte, essbare Version – zu verwenden. Wie geht es eigentlich jenen, die Mohr im Hemd nicht süß finden, sondern rund um die Uhr als solche wahrgenommen werden? Sie werden kaum gehört.

Der Konzern wurde angeblich überrumpelt vom Protest, den die schlecht getextete und geschmacklose Werbung ausgelöst hat. Es sei vorher bei Befragungen keine negative Rückmeldung auf den Produktnamen gekommen. Wie viele Afroösterreicher unter den Befragten waren, wird nobel verschwiegen. Und der afroösterreichische Journalist, der sich in der Diskussion schließlich zu Wort meldete, wird vielerorts als Weichei abgetan. Ich behaupte: Niemand, der nicht schon einmal wegen seiner Hautfarbe rassistisch angegangen wurde, hat die Berechtigung, den „Mohren“ zu verharmlosen und in dieser Diskussion beschwichtigend oder veräppelnd zu argumentieren. Wer in der Sicherheit seiner „weißen“ Haut lebt, kann nicht sagen, wo Wehleidigkeit beginnt und Beleidigtheit ein Ende zu haben hat. Ebenso ist die Beweisführung durch persönlich bekannte Einzelpersonen und deren Meinungen („Mein Freund ist schwarz und der findet diese Diskussion lächerlich.“) eine wandelbare Strategie. Darauf ist nur zu sagen: Na, und? Ebenso mag es Frauen und Männer geben, die an „Weib“ nichts auszusetzen finden – ich lehne es trotzdem dankend ab, so benannt zu werden.

Ich kann niemandem untersagen, mich „Weib“ zu schimpfen oder zu kosen, und es steht jedem frei, sich in dörflicher Gewohnheit oder privater Vertrautheit derart anzusprechen. So mancher wittert dieser Tage gar eine Verschwörung von humorlosen Linkslinken und amerikanischen Korrektheitswächtern. Tatsächlich gibt es keine Sprachpolizei und keine wortschatzbezogenen Gesetze. Es gibt Grenzen des guten Geschmacks – und offenbar wenig Einsicht in das verletzende Potenzial von Sprache. Im Kern geht es nicht nur um das Wort „Mohr“. Die Tatsache, dass seit Wochen so vehement, ja inbrünstig diskutiert wird, zeigt vor allem eines: Spannungen. Diese begleiten die Veränderungen der Gesellschaft, ihrer Sprache und der guten alten Tradition. Respektvolles Sprachhandeln hieße in diesem Fall, sich von der Tradition zu verabschieden: nicht der des Schlemmens, sondern jener – lassen wir es uns auf der Zunge zergehen – der Respektlosigkeit.

Denn ein Land, das seinen Hofmohren Angelo Soliman ausstopfen ließ, um ihn auch posthum in seinem Hemd begaffen zu können, könnte zumindest 200 Jahre später geistig über seine Mehlspeisengröße hinauswachsen. Die vielen Schleckermäuler, die Geschütze auffahren, um den Mohren in seinem Hemd zu bewahren, könnten eigentlich auch im Alltag derart fürsorglich sein: So, wie sie sich jetzt für den gar köstlichen Süßspeisennamen einsetzen, so schützend könnten sie sich im Falle des rassistischen Übergriffs vor bedrohte Menschen stellen. Und dann warmen Schokokuchen mit Schlagobers genießen.


> Dr.phil. Verena Krausneker ist Sprachwissenschafterin an der Universität Wien.

meinung@diepresse.com

*Originaltitel wurde von Bois-Caiman-Radaktion geändert

07.08.09

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